Da ich immer wieder auf eine mir durchaus nachvollziehbare Ablehnung des Spirituellen stoße, heute noch einmal einige Gedanken dazu.
Als Wissenschaftlertochter wurde ich im Geiste der Wissenschaft und des Atheismus erzogen. Ich fühle mich durchaus der wissenschaftlichen Herangehensweise verpflichtet, die Engstirnigkeit der Wissenschaftler stößt mich aber ab. Ich hatte ebenso tatsächlich nie das Bedürfnis, mich einem Gott zu unterwerfen. Der auch noch der liebe Gott genannt wird. Der Liebe als unrein, als Sünde ansieht. Der uns einengt. Nicht nur emotional, auch geistig. Wir dürfen nicht nur fühlen, was uns vorgegeben ist. Wir müssen auch denken, was uns vorgegeben wird. Wie in allen Religionen. – Und da sind sich doch Religion und Wissenschaft so unwahrscheinlich gleich. Auch die Wissenschaft will uns vorschreiben, was wir zu denken haben. (Mal abgesehen davon, dass wirkliche Wissenschaft sich sehr wohl hinterfragt. Aber diese Wissenschaftler sind eher nicht sichtbar.) Gefühle sind Wissenschaftlern suspekt. Die kommen bei ihnen gleich gar nicht vor. Gott predigt wenigstens Liebe, führt uns aber in seiner großen Güte mit der Knute und seine wirkliche Meinung zur Liebe kennen wir ja schon.
Dennoch spürte ich schon immer, dass da mehr ist, als sich die Schulweisheit erträumen lässt. So zog mich das sogenannte spirituelle Gedankengut an. Aber hundertprozentig habe ich auch dieses nicht für mich als wahr empfunden. Und siehe da: Wer eine andere Meinung hat, wird auch unter spirituellen Menschen angegriffen. Nur, wer sich der vorherrschenden Meinung unterwirft, bekommt Bussi hier und Bussi da. Wir haben uns ja alle so lieb. Aber wehe, wir haben eigenständige Gedanken. Diese sind eben auch grundsätzlich in unserer Gesellschaft nicht gern gesehen. Wir üben nicht nur die Wissenschaft als Religion aus, auch die Spiritualität – ja, unser ganzes Leben. Da, wo wir geistig sind, müssen die anderen auch sein. So erwarten wir es. So ist es nur dummerweise nicht.
Inzwischen habe ich es verstanden: die Menschen verabsolutieren alles. Sie erheben alles zur Religion. Sie erheben ihre Gedankenwelt zur Religion. Ausblendend, dass es ganz viele unterschiedliche Gedankenwelten gibt. Die Menschen sind nicht mehr neugierig auf das, was das Leben alles zu bieten hat. Sie wollen, können auch nicht mehr selber denken. Sie brauchen ihren engen, kleinen Denkraum, damit sie einen Halt im Leben haben. Jeder anders geartete Gedanke bringt sie aus ihrem mühsam aufrecht erhaltenen Gleichgewicht. Zu den Ursachen schreibe ich in meinem Buch. Deshalb können wir nicht sachlich miteinander verschiedene Ansichten diskutieren. Wir müssen Recht haben und unsere Meinung durchpeitschen. Deshalb können wir nicht leben und leben lassen.
Dennoch verändert sich etwas in unserem Leben. Bezogen auf das Spirituelle geschieht und geschah Folgendes: In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts schlichen sich die Akupunktur und Yoga in unser Leben. Erst verpönt, verschmäht, verlacht – inzwischen ist die Akupunktur teilweise eine Kassenleistung und Yogakurse werden allerorts angeboten und wahrgenommen. Tai Chi und Qi Gong sind für uns auch keine Fremdworte mehr. Chi oder Qi ist die Lebensenergie, die wir vor allem daran merken, dass wir sie nicht haben. Ärzte weisen die wohltuende Wirkung der Meditation nach. Sie ist nun also auch gesellschaftsfähig. Die neueste Entdeckung der westlichen Welt sind Achtsamkeitsübungen. Achtsamkeit ist eine zutiefst spirituelle, meditative Übung. Ebenso wie die anderen Verfahren. Wir nennen sie Entspannungsverfahren. Sie dienen durchaus auch der Entspannung. Die alle bitter nötig haben.
Nicht zu vergessen dieses: Psychotherapeuten übernehmen mit diesen und anderen Methoden die Methoden von Heilern. Manche Psychotherapiepraxis gleicht inzwischen einer Heilerpraxis von der Ausstattung her. Heiler, dem Neuen aufgeschlossene Heiler (auch hier gibt es verschiedene Sorten Menschen) übernehmen Methoden der Psychotherapeuten. Heiler wollen wir nicht, aber wenn Psychotherapeuten Heilermethoden verwenden, ist das völlig in Ordnung. Aha. Nochmal nachdenken.
Das ist die Realität. Das Spirituelle kommt in unser Leben. Sogar gegen unseren Willen. Bis es dann plötzlich normal für uns ist. Es kommt zu uns, weil wir es brauchen. Weil es uns gut tut. Weil Ruhe, Stille, Entspannung, innere Einkehr lebenswichtig für uns ist.
Wir werden begreifen müssen, dass es uns nur gut geht, wenn wir auch die spirituelle Seite des Lebens leben. Ich finde es wunderbar, dass sich die Tätigkeiten der Heiler und der Psychotherapeuten angleichen. Das bedeutet doch, dass wir zunehmend alle uns zur Verfügung stehenden Methoden nutzen, damit es uns besser gehen kann. Ist das nicht großartig?
Es gibt noch eine andere Seite der Spiritualität. Diese ist für mich das, was gemeinhin als Esoterik bezeichnet wird. Esoterik heißt für mich Räucherstäbchen, Rituale, Geistwesen, Engel, Zwerge und andere märchenhafte Naturwesen. Das alles brauche auch ich nicht. Hindennoch spüre auch ich die Wirkung von Heilsteinen, spüre und sehe ich die Energien der Menschen und erlebe Dinge, die mit unserer Alltagserfahrung nicht zu erklären sind. Das heißt, es ist alles relativ und wir sollten nichts verabsolutieren. Steht es uns an zu urteilen, ob etwas Quatsch, Blödsinn oder was auch immer ist oder nicht? Es ist die Wahrnehmung, die Erfahrung der Menschen. Wir Menschen machen ganz unterschiedliche Erfahrungen. Manche sehen Wesen, sie hören sie, sie sprechen mit ihnen. Sie spüren Energien. Andere haben diese Erfahrungen nicht. Sie haben sie ganz einfach nur nicht. Mehr ist es eigentlich nicht.
Also:
LEBEN UND LEBEN LASSEN.
PS: Meine Überschrift habe ich natürlich in Abwandlung des ersten Satzes aus dem „Kommunistischen Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels geschrieben. Aus gutem Grund …
In Thüringen sehen wir gerade (Anfang 2020) sehr anschaulich, welche Blüten es treibt, wenn das einzige Bestreben ist, den Erzfeind Links nicht zum Zuge kommen zu lassen. Dass in den Jahren der Linksregierung der Sozialismus nicht wieder eingeführt wurde, sondern eine ernsthafte und durch die Wahlen bestätigte Realpolitik gemacht wurde, wird von einigen Menschen überhaupt nicht wahrgenommen. Anstatt wertschätzend miteinander zu regieren und zu leben, vertun wir unsere Zeit mit Hexenjagd. Linke und spirituelle Menschen stehen da so ziemlich auf derselben Stufe. Aber auch andere Gruppen stehen im Kreuzfeuer der Verachtung. Menschen sind was Wunderbares …
Letzte Änderung: 25.11.2020
© 2020 Gundula Schielicke, Stressbewältigungscoach, Lehrerin für die Transformation von Herz und Verstand, Autorin
Ich unterstütze mit meiner Arbeit Menschen, die in ihre eigene Kraft kommen möchten, um so ein erfülltes Leben im inneren Gleichgewicht führen zu können und die bereit sind, dafür sich selbst zu verändern. Ich freue mich darauf, dir mit Beratung, Coaching und meinem Onlinekurs NEUSTART dabei zu helfen. Oder auch mit meinem Buch. Innerer Frieden ermöglicht äußeren Frieden.